Leseprobe

Prolog

Was soll das? Glaubt sie wirklich, ich lasse mich verarschen?

Mark rannte im Schlafzimmer hin und her. Irgendwo musste doch die dicke Jacke sein. Klar, die hatte sie wieder weggeräumt. Ihm gehörte die linke Seite des Schrankes. Fein säuberlich lagen die T-Shirts übereinander. Nach Farben sortiert. Die Hemden auch, sie hingen auf den Bügeln, picobello. Das ist mein Schrank, dachte Mark, aber wehe, ich nehme etwas heraus.

Er hätte Steffi würgen können. Würgen oder erschießen. Oder beides. Die Jacke war bestimmt oben unterm Dach, da gab es noch einen Schrank mit seinen Angelsachen. Mark rannte die zwölf Stufen hoch und riss die weiße Riesenkommode auf, die er bei Ikea in Dortmund gekauft hatte. Und tatsächlich: Da war ja alles. Er schnappte sich den grünen Rucksack, zog die Thermohose an, ein Shirt, darüber ein blau-gestreiftes Flanellhemd und rannte nach unten. Scheiße, die Jacke. Und Kaffee kochen. Ohne Kaffee und Bier ging beim Angeln nichts.

Das wird mich runterbringen, dachte er, eine Angel reicht heute. Ein paar Köder. Vielleicht beißt ja was. Am besten eine Forelle. Mark grinste. Hätte er jetzt ein paar Bienenmaden, könnte er sie ins Gemüsefach des Kühlschranks legen. Steffi würde fluchen, schreien und Feuer spucken. Sollte sie doch! Doch leider hatte er nur künstliche Maden in der Garage. Künstliche Bienenmaden galten als besonders fängig und hielten mehr Bisse aus.

Ist egal, dachte Mark. Er kramte alles zusammen. Den Stuhl noch ins Auto. Einfach nur an der Lenne sitzen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Um drei Uhr in der Früh ist ja kein Mensch weit und breit. Höchstens Georg angelt manchmal mitten in der Nacht, aber sicher nicht heute.

Überhaupt hatte er schon lange keinen Kollegen vom Angelfischerverein mehr getroffen. Bei der Lenne-Reinigung war er nicht dabei gewesen. Nicht, dass er sich hatte drücken wollen, aber er hatte auf Erwin-Hans keine Lust gehabt. Der machte im Moment nur Stress. Bekam andauernd anonyme Post von irgendwem, der ihn als Fischmörder bezeichnete und hatte jeden in Verdacht. Was war das nur für ein Kaff hier?

»Ich will nirgendwo anders leben«, hatte Steffi damals gesagt, als er sie in einer Disko in Hagen kennengelernt hatte. Manhattan hieß der Laden. Und jetzt saß auch er hier fest, in Nachrodt-Wiblingwerde. Seit zwanzig Jahren. Zwanzig Jahre in Einsal. Das musste man sich mal vorstellen!

Mark bekam sich gar nicht mehr ein. Er riss den Kofferraum seines BMW auf, warf alles hinein, sprang ins Auto und raste los. War ja nicht weit.

Er fuhr zur Gaststätte „Rastatt“. Eigentlich konnte man besser in der Pampa angeln, wenn man am alten Bahnhof parkte, über den Zaun stieg und die Wiese in Richtung Wehr lief. Aber das war mühselig mit den ganzen Klamotten. Unterhalb der Gaststätte ging es auch. War vom Parkplatz nicht einsehbar, außerdem wurde die Lenne da etwas ruhiger und tiefer.

Vier Minuten später war er da. Auf dem Parkplatz gegenüber der Kirche St. Josef stand ein weißer Lieferwagen, den Mark aber nicht bemerkte, viel zu sehr ärgerte er sich darüber, dass die Einfahrt zu schmal war und von irgendwelchen Pollern begrenzt wurde. Und dann noch diese blöden Schlaglöcher auf dem Parkplatz! Wofür saß er eigentlich im Gemeinderat? Ich muss dringend mit Thorsten darüber sprechen, dachte er, das muss auf die Tagesordnung des Bau- und Planungsausschusses.

Mark kramte seine Angelsachen zusammen, schmiss den Rucksack über die Schulter, setzte die Kopflampe auf, klemmte sich die Angel unter den rechten, den Stuhl unter den linken Arm und ging zu den neuen Lenneterrassen. Es war dunkel. Das fehlte noch, dass er sich hier jetzt langlegte.

Die Kopflampe rettete ihn mit kleinen weißen Lichtkegeln. Langsam und völlig in Gedanken ging er hinunter zum Wasser und zwanzig Meter nach links. Das war eine gute Stelle. Er packte seine Teleskoprute aus, der Aufbau war in einer Minute erledigt. Bremse auf, die Elemente von Spitze zu Handteil nach und nach herausziehen und mit leichter Drehbewegung in die Endposition bringen. Jetzt nur noch die Rolle und den Köder. Mark warf aus, zwanzig Meter locker in die Lenne. Ein paar Mal an der Rolle gedreht. Jetzt ein Bierchen. Das Wasser glitzerte im Mondschein. Totenstille. Nur ein kleines Rauschen des Flusses, ein Plätschern war zu hören. Es nieselte ein bisschen.

Ihr werdet mich noch alle kennenlernen, dachte er und kramte ein Päckchen John Player aus der Jacke. Er hatte immer noch das alte Sturmfeuerzeug. Es klackte, als er den Deckel öffnete.

Plötzlich knirschte es hinter ihm. WAS, WAS, WAS? Er drehte sich um und meinte, seinen Augen nicht zu trauen. Fassungslos und voller Hilflosigkeit starrte er ins Dunkel, es waren die letzten Sekunden seines Lebens. Noch bevor Mark den Schuss hörte, spürte er den unfassbaren Schmerz in der Brust. Er sackte zusammen und wollte schreien. Doch auch dafür war es zu spät.